Nutzungsentschädigung

Die Nutzungsentschädigung ist ein zentraler Begriff bei der Rückabwicklung von Kaufverträgen im Abgasskandal. Andere Begriffe, die das gleiche meinen sind Nutzungsvorteil, Nutzungswertersatz oder auch Nutzungsentgelt. 



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Was ist die Nutzungsentschädigung im Abgasskandal?

Bekommt ein Käufer Schadensersatz zugesprochen, weil sich in seinem Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung befindet, muss er sich im Gegenzug zur Rückgabe des Fahrzeugs den Wert der bisherigen Fahrzeugnutzung anrechnen lassen. Diese Entschädigung wird vom erstatteten Kaufpreis abgezogen und dient der Abgeltung des „genutzten Vorteils“. Grundlage sind dabei die gefahrenen Kilometer. Je geringer die Laufleistung, desto geringer die Nutzungsentschädigung und desto besser für den Käufer. Sehr hohe Laufleistungen (Nutzungen) können den zugesprochenen Schadensersatz „auffressen“.

Urteile zur Nutzungsentschädigung: BGH und EuGH

Am 25.05.2020 (VI ZR 252/19) verurteilte der Bundesgerichtshof VW im Dieselskandal zu Schadensersatz aus § 826 BGB. Der Kläger war vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt worden, weshalb die Rückabwicklung des Kaufvertrags möglich war. Der BGH bestätigte jedoch auch den Abzug der Nutzungsentschädigung nach § 249 BGB. Mit einem Urteil vom 30.07.2020 (VI ZR 397/19) konkretisierte er dies. Hier bestätigte das Gericht, dass ein Anspruch auf Schadensersatz durch eine hohe Nutzungsentschädigung (aufgrund einer hohen Laufleistung) aufgezehrt werden könne.

Am 26.06.2023 folgten drei weitere wichtige Urteil des Bundesgerichtshofs im Dieselskandal (VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und Via ZR 1031/22). Das Gericht passte seine Rechtsprechung der des Europäischen Gerichtshofs an und urteilte, dass schon durch den fahrlässigen Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung ein Anspruch auf Schadensersatz gegeben sein kann. Bis zu 15% des Kaufpreises können Betroffene erhalten und ihr Fahrzeug dabei behalten. Allerdings müssen sie sich auch hier die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Dies kommt jedoch erst zum Tragen, wenn die Vorteile gemeinsam mit dem Restwert des Fahrzeugs die Anrechnungsgrenze überschreiten.

Für den 01.08.2025 ist ein wegweisendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs angekündigt (C-666/23). Der EuGH wird sich dabei unter anderem mit diesen zwei Fragen beschäftigen, die ihm das Landgericht Ravensburg vorgelegt hat:

Ist es mit EU-Recht vereinbar, wenn der kleine Schadensersatz (Differenzschadensersatz) auf 15% des Kaufpreises gedeckelt ist, wie es der BGH bei seinen Urteilen aus dem Juni 2023 festgelegt hat?

Ist es mit EU-Recht vereinbar, dass sich erfolgreiche Kläger eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen müssen, wenn diese zusammen mit dem Restwert des Fahrzeugs den gezahlten Kaufpreis abzüglich des Schadensersatzbetrags übersteigt? Denn in diesen Fällen kann es passieren, dass die zugesprochene Entschädigung aufgezehrt wird und für den Kläger tatsächlich nichts mehr übrig bleibt.

Das EuGH-Urteil zur Anrechnung der Nutzungsentschädigung beim kleinen Schadensersatz wird von den Betroffenen im Abgasskandal mit großer Spannung erwartet.

Berechnungsmethode der Nutzungsentschädigung

Die Höhe der Nutzungsentschädigung ergibt sich nach folgender Formel:

Für Neuwagen:

Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer / maximale Gesamtlaufleistung

Für Gebrauchtwagen:

Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer / (maximale Gesamtlaufleistung – Kilometer bei Kauf)

Die erwartbare Gesamtlaufleistung beträgt laut ständiger Rechtsprechung in der Regel 250.000 bis 300.000 km, wobei sich zunehmend 300.000 km als praxisrelevanter Wert durchsetzt.

Beispielrechnungen

1. Fahrzeug noch im Besitz

  • Kaufpreis: 25.000 €
  • Bisherige Laufleistung: 75.000 km
  • Gesamtlaufleistung: 300.000 km

25.000 x 75.000 / 300.000 = 6.250 €

Rückerstattung: 25.000 € – 6.250 € = 18.750 €


2. Fahrzeug mit höherem Wert

  • Kaufpreis: 40.000 €
  • Bisherige Laufleistung: 60.000 km
  • Gesamtlaufleistung: 300.000 km

40.000 x 60.000 / 300.000 = 8.000 €

Rückerstattung: 40.000 € – 32.000 € = 8.000 €


3. Fahrzeug bereits verkauft

Hat der Käufer das Fahrzeug weiterveräußert, wird nicht der Kaufpreis, sondern der erzielte Verkaufspreis vom Anspruch abgezogen. Die Nutzungsentschädigung berechnet sich trotzdem nach der obigen Formel.

  • Kaufpreis: 30.000 €
  • Verkaufserlös: 10.000 €
  • Laufleistung bis Verkauf: 100.000 km
  • Gesamtlaufleistung: 300.000 km

30.000 x 100.000 / 300.000 = 10.000 €

Abzug: Verkaufserlös (10.000 €) + Nutzungsentschädigung (10.000 €) = 20.000 €

Rückerstattung: 30.000 € – 20.000 € = 10.000 €


4. Geringe Laufleistung

  • Kaufpreis: 20.000 €
  • Laufleistung: 15.000 km
  • Gesamtlaufleistung: 300.000 km

20.000 x 15.000 / 300.000 = 1.000 €

Rückerstattung: 20.000 € – 1.000 € = 19.000 €


4. Gebraucht gekauftes Fahrzeug

  • Kaufpreis: 28.000 €
  • Laufleistung bei Kauf: 46.000 km
  • Laufleistung bei Klage: 120.000 km
  • Gesamtlaufleistung: 300.000 km

(28.000 x 120.000) / (300.000 – 46.000) = 13.228,35 €

Rückerstattung: 28.000 € – 13.228,35 € = 14.771,65 €


5. Nutzungsentschädigung bei kleinem Schadensersatz aus § 823 BGB 

  • Kaufpreis: 28.000 €
  • Laufleistung bei Kauf: 46.000 km
  • Laufleistung bei Klage: 120.000 km
  • Gesamtlaufleistung: 300.000 km
  • Entschädigung 10%: 2.800 €

Nutzungsentschädigung: (28.000 x 120.000) / (300.000 – 46.000) = 13.228,35 €

Restwert: 10.000 €

Nutzungsentschädigung + Restwert: 23.228,35 €

Kaufpreis - Schadensersatz: 25.200 €

Da die Nutzungsentschädigung zusammen mit dem Restwert den objektiven Wert des Fahrzeugs beim Kauf (Kaufpreis abzüglich Entschädigung) nicht übersteigen, wirkt sich die Nutzungsentschädigung nicht wertmindernd aus.