Abschalteinrichtung
Eine Abschalteinrichtung ist eine Funktion, die die Abgasreinigung unter bestimmten Bedingungen reduziert oder komplett deaktiviert. Sie ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig. Gerade im Abgasskandal wurden aber viele unzulässige Abschalteinrichtungen bekannt.
Was ist eine Abschalteinrichtung?
Die EU Verordnung Nr. 715/2007 definiert eine Abschalteinrichtung folgendermaßen:
„ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“
Wie funktioniert eine Abschalteinrichtung?
Abschalteinrichtungen haben unterschiedliche Funktionsweisen. Im Dieselskandal wurden viele verschiedene illegale Abschalteinrichtungen bekannt. Grundsätzlich sorgen Abschalteinrichtungen dafür, dass Kraftfahrzeuge die vom Gesetzgeber vorgegebenen Grenzwerte zum Beispiel für Stickstoffdioxid auf dem Prüfstand nicht überschreiten, während die Emissionen im realen Straßenverkehr, wenn sie aktiv sind, um ein Vielfaches höher sind. In der Regel können in PKW genutzte illegale Abschalteinrichtungen die Prüfstandssituation erkennen und dann in einen sauberen Modus schalten. Andere Abschalteinrichtungen regeln die Abgasreinigung anhand verschiedener Parameter, die den Prüfstandsbedingungen entsprechen, so dass sie zwar theoretisch auch auf der Straße funktioniert, tatsächlich dort aber die meiste Zeit abgeschaltet ist.
Welche Abschalteinrichtungen wurden im Zuge des Abgasskandal bekannt?
Im Zuge des Abgasskandals wurde bekannt, dass nahezu alle Autohersteller unzulässige Abschalteinrichtungen in ihren Diesel-Fahrzeugen verwendeten.
So ist von VW vor allem die Prüfstandserkennung bekannt. Anhand verschiedener Parameter erkannte das Fahrzeug, wenn es sich auf dem Prüfstand befand und schaltete dann in einen sauberen Modus, bei dem Abgasreinigung voll aktiv war. Im Realbetrieb auf der Straße dagegen fuhr das Auto in einem anderen Modus und stieß dabei wesentlich mehr Stickoxid aus.
Von Mercedes sind beispielsweise die AdBlue-Dosierstrategie und die Kühlmittel-Solltemperaturregelung bekannt.
Fiat nutzte einen Timer, bei dem die Abgasreinigung nach 22 Minuten reduziert wurde.
Branchenübergreifend wurde ein sogenanntes Thermofenster eingesetzt. Dabei ist die Abgasreinigung nur innerhalb eines recht kleinen Temperaturfensters aktiv. Unterhalb von 7, 10 oder schon 15 Grad wird die Abgasreinigung dagegen reduziert.
Wann ist eine Abschalteinrichtung ausnahmsweise zulässig?
Laut der EU Verordnung Nr. 715/2007 sind Abschalteinrichtungen immer unzulässig, abgesehen von wenigen Ausnahmen. So stuft die Verordnung Abschalteinrichtungen ausnahmsweise als zulässig ein, wenn
- „die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten
- die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist
- die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind.“
Vor allem der erste Punkt ist hier wichtig. So verteidigen sich die Autohersteller im Abgasskandal regelmäßig damit, dass ihre Abschalteinrichtungen aus Gründen des Motorschutzes notwendig seien.
Wie stufen Gerichte Abschalteinrichtungen ein?
Schon im Dezember 2020 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass Abschalteinrichtungen unzulässig seien und verwies dabei auf die EU Verordnung Nr. 715/2007 und die engen Ausnahmeregeln (C-693/18). Im Juli 2022 folgten die EuGH Urteile C-128/20, C-134/20 und C-145/20, bei denen es konkret um das Thermofenster ging. Auch bei diesem handelt es sich laut EuGH um eine unzulässige Abschalteinrichtung, die gerade nicht aus Gründen des Motorschutzes ausnahmsweise zulässig sein kann.
Der BGH zierte sich lange, schwenkte aber im Juni 2023 um und urteilte, dass bereits durch den fahrlässigen Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung ein Anspruch auf Schadensersatz gegeben sein kann. Eine Abschalteinrichtung kann somit auch dann schon unzulässig sein, wenn der Hersteller sie fahrlässig eingebaut hat. Zuvor hatte der BGH mit seinem Urteil aus dem Mai 2020 die Volkswagen AG zu Schadensersatz verurteilt - aufgrund der unzulässigen Umschaltlogik.
Welche Rolle spielten Abschalteinrichtungen im Abgasskandal?
Der Abgasskandal entwickelte sich ab Herbst 2015, als die unzulässige Prüfstandserkennung bei VW entdeckt wurde. Andere Hersteller beeilten sich zu versichern, dass sie keine unzulässigen Abschalteinrichtungen nutzen würden. Doch die Behörden schauten nun endlich genauer hin und entdeckten Abschalteinrichtungen auch bei Audi, Mercedes, BMW, Fiat und anderen. Die große Frage war dabei, ob diese Abschalteinrichtungen ausnahmsweise zulässig sein sollten, wie die Hersteller meinten oder aber als unzulässig einzustufen sind. Der Bundesgerichtshof und das Kraftfahrt-Bundesamt folgten zunächst der Argumentation der Hersteller, doch vor allem der Europäische Gerichtshof machte schließlich deutlich, dass viele der Abschalteinrichtungen, darunter auch das oft genutzte Thermofenster, unzulässig seien. Auf Basis dieser Unzulässigkeit eröffneten sich für Millionen betroffene Fahrzeugkäufer Schadensersatzansprüche. Denn schließlich hatten diese sie durch den Einbau entweder vorsätzlich sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB geschädigt oder den Autokäufern stand wenigstens durch den fahrlässigen Einbau eine Entschädigung zu.
Welche Folgen haben Abschalteinrichtungen für Verbraucher?
Unzulässige Abschalteinrichtungen waren somit der Grund für unzählige Schadensersatzklagen. Käufer, deren Fahrzeuge im Abgasskandal betroffen waren, konnten das Fahrzeug bei einer erfolgreichen Klage zurückgeben und den Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung erstattet bekommen. Zudem waren ab Mitte 2023 zunehmend Klagen erfolgreich, bei denen die Käufer ihr Auto behalten konnten und bis zu 15% des Kaufpreises von den Gerichten zugesprochen bekamen.
Abschalteinrichtungen sorgten zudem für einen Wertverlust bei den Fahrzeugen und trugen auch einen großen Teil zur Einführung von Diesel Fahrverboten bei. Denn schließlich stießen die Fahrzeuge viel mehr Stickoxid aus als erlaubt und sorgten so für die besonders schlechte Luft in deutschen Städten.
Im Zuge des Abgasskandals ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt schließlich verpflichtende Rückrufe für Millionen Fahrzeuge an. Die unzulässigen Abschalteinrichtungen mussten entfernt werden, um die Konformität der Fahrzeuge wieder herzustellen. Dies geschah mit Hilfe von Software-Updates. Diese können allerdings - entgegen der oftmals gemachten Versprechen der Hersteller – unerwünschte Folgen haben. Hierzu gehören ein erhöhter Verbrauch, eine nachlassende Leistung, Motorschäden oder eine erhöhte Brandgefahr.