Schadensersatz für VW-Aktionäre
VW-Aktionäre können wegen unterlassener Ad-Hoc-Mitteilungen auf Schadensersatz klagen. VW hatte sich zuletzt in Zugzwang gesehen und die Verwendung manipulativer Steuerungssoftware eingeräumt. Betroffen sind Fahrzeuge mit Dieselmotoren des Typs EA 189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen.
Der Abgasskandal - zur Historie
Der Anstoß für die Untersuchungen kam von der ICCT (International Council of Clean Transportation), die schon seit langem der Frage nachgeht, wie viele Stickoxide Dieselfahrzeuge tatsächlich ausstoßen. Dabei hatten sich im Jahr 2014 Widersprüche bei einem Test europäischer Dieselmodelle von Volkswagen und BMW ergeben. Der Vorgang wurde daraufhin von der ICCT Europe in die USA (ICCT USA) weitergeben, die unter Einbeziehung der Universität West Virginia weitere Tests durchführten. Ergebnis dieser Test war, dass die von der Universität West Virginia gemessenen Stickoxide bei einem VW Jetta (2012er) um das 15- bis 35-fache und bei einem VW Passat (2013er) um das 5- bis 20-fache über dem zulässigen US-Grenzwert lagen.
Daraufhin haben CARB (California Air Resources Board) und EPA (Environmental Protection Agency) im Mai 2014 eine offizielle Untersuchung gegen Volkswagen eingeleitet. VW hat dabei mehrfach gegenüber der EPA und CARB versichert, dass die erhöhten Emissionen auf technische Ursachen zurückzuführen seien und veranlasste sodann im Dezember 2014 in den USA einen Rückruf von fast 500.000 Fahrzeugen. Als Begründung wurde offiziell gegenüber den Kunden eine „Abgas-Serviceaktion“ angeführt. Im Zuge dieser Rückrufaktion wurde seitens VW ein Software-Update eingespielt. Die nach der Rückrufaktion vorgenommenen Tests ergaben jedoch kein nennenswert anderes Ergebnis. Die Tests wurden daraufhin ausgeweitet, die EPA und VW darüber im Juli 2015 informiert. Die US-Behörden entschieden sich sodann gegen die Zertifizierung der 2016er Modelle solange der Fehler nicht gefunden sei.
Manipulation der Abgasuntersuchung
VW räumte schließlich am 3. September 2015 gegenüber den US-Behörden ein, die Dieselmotoren mit einer Steuerungssoftware ausgestattet zu haben, die erkennt, ob das Fahrzeug einem Test zur Einhaltung des Emissionsstandards unterzogen wird oder nicht und zwar auf der Basis von verschiedenen Fahrzeugparametern, unter anderem der Position des Lenkrades und der Reifenumdrehung. Mittels dieser Daten kann genau festgestellt werden, ob es sich um ein Testverfahren handelt, das dazu dient, die Emissionsstandards einzuhalten. Diese Software sorgt dafür, dass die Abgasbegrenzung im normalen Betrieb ausgeschaltet ist, im Testbetrieb jedoch angeschaltet.
Aus einem Schreiben der EPA an Volkswagen und Audi vom 18.09.2015 sind die betroffenen Fahrzeugmodelle – Dieselfahrzeuge mit 2,0 Liter-Maschinen – im Einzelnen zu entnehmen. Betroffen sind die VW-Modelle Jetta, Golf, Passat und Beatle sowie das Audi-Modell A 3.
Die Öffentlichkeit informierte Martin Winterkorn, der damalige VW-Chef erst am 20. September 2015 über die Abgas-Manipulationen. Die Aktienkurse der Stamm- und Vorzugsaktien brachen daraufhin am Montag, den 21. September 2015, erheblich ein.
Unterlassene Ad-Hoc-Mitteilung
Der Vorwurf lautet: Volkswagen hätte schon sehr viel früher offenbaren müssen, dass die Abgastests durch den Einsatz bestimmter Software manipuliert worden sind. Nach dem Wertpapierhandelsgesetz (WphG) müssen Emittenten von Finanzprodukten – hier die Volkswagen AG als Emittent von Aktien – bestimmte Publizitätspflichten einhalten. Sie sind verpflichtet, Insiderinformationen, die sie unmittelbar betreffen, unverzüglich zu veröffentlichen. Unter Insiderinformationen versteht das Gesetz konkrete Informationen über nicht öffentlich bekannte Umstände, die sich auf einen Emittenten beziehen und die geeignet sind, im Fall ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen- oder Marktpreis der Papiere erheblich zu beeinflussen. Dieses ist bei dem Einsatz von Steuerungssoftware zur Abgasmanipulation gegeben. Werden solche Insiderinformationen nicht unverzüglich veröffentlicht, ergibt sich daraus gem. § 37 b WphG eine Schadensersatzhaftung des Emittenten, also der Volkswagen AG.
Aktionäre können daher – je nach Kaufzeitpunkt – Schadensersatzansprüche gegen die Volkswagen AG geltend machen. Dabei muss der Kauf nach der pflichtwidrigen Unterlassung erfolgt sein. Als Zeitpunkte, in denen eine Veröffentlichung des Einsatzes der Steuerungssoftware geschuldet sein könnten, kommen unterschiedliche in Betracht: Frühestens der Einbau solcher manipulativer Software, die Einleitung der offiziellen Untersuchung der EPA und CARB im Mai 2014, die Rückrufaktion von VW im Dezember 2014, die erweiterten Tests im Juli 2015 oder – spätestens – die Einräumung des Einsatzes der Software gegenüber den US-Behörden am 03. September 2015.
Transaktionsschaden
Der Transaktionsschaden besteht grundsätzlich zunächst in dem gezahlten Kaufpreis.
Berechnungsbeispiel:
Beim Kauf von 150 Vorzugsaktien (WKN 766403) am 22.07.2015 zu einem Kurs von 195,79 Euro besteht inklusive der Entgelte in Höhe von 295,69 Euro ein Schaden in Höhe von 29.663,69 Euro. Eventuell sind noch etwaige Dividendenzahlungen in Anrechnung zu bringen. Sofern die Aktien bereits verkauft wurden, ist der Verkaufserlös gegenzurechnen, so dass der Schaden in der Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem Verkaufserlös unter Anrechnung etwaiger Dividendenzahlungen besteht. Sofern die Aktien noch gehalten werden, sind diese gegen Zahlung des Schadensbetrages zu übertragen.
Kursdifferenzschaden
Alternativ kann der Kursdifferenzschaden geltend gemacht werden. Das ist der Schaden zwischen dem Kaufpreis und dem Preis, der sich bei pflichtgemäßem Publizitätsverhalten gebildet hätte. HAHN Rechtsanwälte empfiehlt Mandanten, die zu einem relativ hohen Kurs gekauft haben, primär den sogenannten Transaktionsschaden geltend zu machen und hilfsweise den Kursdifferenzschaden.Wie hoch sind die Kosten?
Für die Anmeldung der Ansprüche entsteht lediglich eine 0,5 Gerichtsgebühr und für den Anwalt eine 0,8 Verfahrensgebühr zzgl. Auslagen und MwSt. Je nach Höhe des Streitwertes können sich damit für die Anmeldung folgende Kosten und Gebühren ergeben (Tabelle bis Streitwert 200.000,00 EUR):
Wert bis EUR | Gerichtskosten | Verfahrenskosten inkl. Auslagen und MwSt. | Gesamt |
---|---|---|---|
500,00 | 17,50 | 51,41 | 68,91 |
1.000,00 | 26,50 | 91,39 | 117,89 |
1.500,00 | 35,50 | 131,38 | 166,88 |
2.000,00 | 44,50 | 166,60 | 211,10 |
3.000,00 | 54,00 | 215,15 | 269,15 |
4.000,00 | 63,50 | 163,70 | 327,20 |
5.000,00 | 73,00 | 312,26 | 385,26 |
6.000,00 | 82,50 | 360,81 | 443,31 |
7.000,00 | 92,00 | 409,36 | 501,36 |
8.000,00 | 101,50 | 457,91 | 559,41 |
9.000,00 | 111,00 | 506,46 | 617,46 |
10.000,00 | 120,50 | 555,02 | 675,52 |
13.000,00 | 133,50 | 598,81 | 732,31 |
16.000,00 | 146,50 | 642,60 | 789,10 |
19.000,00 | 159,50 | 686,39 | 845,89 |
22.000,00 | 172,50 | 730,18 | 902,68 |
25.000,00 | 185,50 | 773,98 | 959,48 |
30.000,00 | 203,00 | 845,38 | 1.048,38 |
35.000,00 | 220,50 | 916,78 | 1.137,28 |
40.000,00 | 238,00 | 988,18 | 1.226,18 |
45.000,00 | 255,50 | 1.059,58 | 1.315,08 |
50.000,00 | 173,00 | 1.130,98 | 1.403,98 |
65.000,00 | 333,00 | 1.211,90 | 1.544,90 |
80.000,00 | 393,00 | 1.292,82 | 1.685,82 |
95.000,00 | 453,00 | 1.373,74 | 1.826,74 |
110.000,00 | 513,00 | 1.454,66 | 1.967,66 |
125.000,00 | 573,00 | 1.535,58 | 2.108,58 |
140.000,00 | 633,00 | 1.616,50 | 2.249,50 |
155.000,00 | 693,00 | 1.697,42 | 2.390,42 |
170.000,00 | 753,00 | 1.778,34 | 2.531,34 |
185.000,00 | 813,00 | 1.859,26 | 2.672,26 |
200.000,00 | 873,00 | 1.940,18 | 2.813,18 |
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Möglichkeiten der Anleger
Anleger, die in VW Aktien investiert haben, haben unter Umständen einen Anspruch auf Schadensersatz und zwar aufgrund von verschwiegenen Insiderinformationen. VW hätte die Ermittlungen im Abgasskandal und die damit verbundenen drohenden finanziellen Aufwendungen frühzeitig im Rahmen einer Ad-hoc-Meldung bekannt machen müssen. Da diese nicht rechtzeitig erfolgte, können betroffene Anleger Ansprüche auf Schadensersatz geltend machen.
Seit wann war der Vorstand informiert?
Im Rahmen der derzeit geführten Klageverfahren und des anstehenden Musterverfahrens gegen die Volkswagen AG wird insbesondere aufzuarbeiten sein, seit wann Herr Winterkorn von der Manipulationssoftware Kenntnis hatte. Nach den aktuellen Einlassungen von VW wurde Herr Winterkorn mit seiner Wochenendpost - intern als „Wikopost“ bezeichnet – erstmals am 23. Mai 2014 über die ICCT Studie und die Untersuchungen des CARB informiert. Nach einem Bericht der Bild vom 14.02.2016 soll dieser Wochenendpost auch ein Hinweis von Herrn Gottweis zu entnehmen gewesen sein, wonach zu vermuten sei, dass die US-Behörden die VW-Systeme daraufhin untersuchen werden, ob Volkswagen eine Testerkennung in der Motorsteuerungsgeräte-Software implementiert hat (sog. Defeat Device). In der aktuellen Einlassung von VW findet sich ein solcher Hinweis nicht.
Die Frage, wann der Vorstand tatsächlich Kenntnis von den Softwaremanipulationen erlangt hat, wird im Rahmen des Musterverfahrens zu klären sein.
Zur Schadensberechnung
Grundsätzlich haben Aktionäre bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Anspruch auf Schadensersatz. Sie können also verlangen, so gestellt zu werden, wie wenn sie die Aktien nicht erworben hätten (sog. Vertragsabschlussschaden). Der Anspruch richtet sich auf Erstattung des Erwerbspreises, Zug-um-Zug gegen Übertragung der Aktien. Sofern die Aktien bereits verkauft worden sind, ist der Verkaufserlös gegenzurechnen. Der Käufer hat dabei zu beweisen, dass er die Aktien bei rechtzeitiger Veröffentlichung der Insiderinformation nicht gekauft hätte. Sollte dieser Kausalitätsnachweis nicht gelingen, kann der Aktionär zumindest den Kursdifferenzschaden geltend machen. Das ist der Schaden zwischen dem Kaufpreis und dem Preis, der sich bei pflichtgemäßem Publizitätsverhalten gebildet hätte. Zur Ermittlung des hypothetischen Preises kann die Kursveränderung unmittelbar nach Bekanntwerden der Insiderinformation herangezogen werden. Die Geltendmachung dieses Kursdifferenzschadens setzt allerdings voraus, dass der Aktionär zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Insiderinformationen noch im Besitz der Aktien war.
VW Abgasskandal: Kapitalanleger-Musterverfahren
Seit September 2018 läuft vor dem Oberlandesgericht Braunschweig ein Kapitalanleger-Musterverfahren.
Inhaltlich geht es bei den Feststellungszielen dieses Verfahrens im Wesentlichen um die zentralen Haftungsvoraussetzungen des § 37 b WpHG, nämlich die Frage, ob es sich bei dem Einbau der Manipulationssoftware in die Diesel-Fahrzeuge um Insiderinformationen im Sinne von § 13 WpHG handelt, wann die Volkswagen AG bzw. deren Vorstand Kenntnis von diesem Ereignis hatte und ob VW die Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung der Insiderinformationen verletzt hat.
Für Aktionäre, die über eine Rechtsschutzversicherung verfügen, nehmen wir kostenfrei eine Deckungsanfrage vor. Bitte senden Sie uns dazu eine Kopie der Versicherungspolice oder der letzten Beitragsrechnung nebst der Kauf- und gff. Verkaufsabrechnungen zu, gerne per Email an info@hahn-rechtsanwaelte.de.