Ist das nun der Anfang vom Ende der Geheimniskrämerei und der Kooperation zwischen dem KBA und der Autoindustrie? Nachdem Frontal 21 Akteneinsicht begehrt hatte, hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig nun rechtskräftig bestätigt, dass das KBA zahlreiche Unterlagen herausgeben muss.
Die Unterlagen umfassen etwa 4.000 Seiten, unter anderem mit Informationen zur Überprüfung und erteilten Freigabe von Software-Updates für die 2.0 Liter Modelle VW Amarok, Audi A4, Audi A5, Audi Q5 und SEAT Exeo. Konkret wird darin beschrieben, was das KBA „im Fall der Bewertung der Software-Updates unter einer Abschalteinrichtung versteht und durch welche Bewertung welcher Änderungen der Software eine illegale Abschalteinrichtung aus Behördensicht als „entfernt“ gilt“.
Bereits im April 2019 hatte das Verwaltungsgericht Schleswig das KBA zur Herausgabe der Unterlagen verurteilt, doch dieses hatte zusammen mit VW als Beigeladener Berufung eingelegt. Die lehnte das OVG Schleswig nun endgültig ab, womit das Urteil rechtskräftig ist.
KBA und VW hatten sich unter anderem damit verteidigt, dass die Unterlagen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalten würden und deshalb nicht veröffentlicht werden könnten. Zudem würde eine Veröffentlichung faire Verfahren gefährden, die parallel zu Tausenden im Abgasskandal laufen.
Das OVG Schleswig wies diese Gründe und die damit einhergehende Berufung jedoch zurück.
Grundlage für das Urteil ist § 3 Abs. 1 Satz 1 des Umweltinformationsgesetzes (UIG).
(1) Jede Person hat nach Maßgabe dieses Gesetzes Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen, über die eine informationspflichtige Stelle im Sinne des § 2 Absatz 1 verfügt, ohne ein rechtliches Interesse darlegen zu müssen.
Gemäß § 2 Absatz 1 gehören zu den informationspflichtigen Stellen die Regierung und andere Stellen der öffentlichen Verwaltung, mithin auch das Kraftfahrtbundesamt als Bundesbehörde.
Zur Verteidigung, eine Veröffentlichung der Unterlagen würde Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verletzen, schrieb das Verwaltungsgericht Schleswig in seiner Urteilsbegründung in erster Instanz:
Vor dem Hintergrund der allein bei der Beigeladenen zu 2) etwa 2,5 Millionen betroffener Fahrzeugeigentümer, die von der Einhaltung der im Genehmigungsverfahren ermittelten Emissionsgrenzwerte ausgegangen waren, sowie der Feststellung der Unzulässigkeit der von allen Beigeladenen eingesetzten Abschalteinrichtungen in den betroffenen Fahrzeugen, die zu zahlreichen Zivilverfahren, unter anderem der Musterfeststellungsklage, geführt haben, liegt es zudem durchaus nahe, den von den Beigeladenen dargelegten Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen jede Schutzwürdigkeit schon auf Tatbestandsebene abzusprechen.
Angesichts der Dimension der betroffenen Fahrzeuge und Kunden sowie der erforderlichen Software-Updates zur Wiederherstellung eines gesetzeskonformen Zustandes und der bestandskräftigen Feststellung der Unzulässigkeit der verwendeten Abschalteinrichtungen, sind die genannten Voraussetzungen nicht von der Hand zu weisen.
Das Interesse der VW AG an der Vertraulichkeit ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse habe hinter das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe der begehrten Unterlagen zurückzutreten.
Auch der Ausschlussgrund, dass die Herausgabe der Informationen geeignet sein könnte, laufende Zivilverfahren zu beeinträchtigen, greift laut Gericht nicht. Gleiches gilt für Ordnungswidrigkeitsverfahren und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen.
Wie bereits ausgeführt geht es bei den streitgegenständlichen Informationen ausschließlich um den technischen und organisatorischen Vorgang zur Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtungen ohne, wie die Beklagte ausgeführt hat, Betroffenheit natürlicher Personen, so dass eine nachteilige Beeinflussung oder Vorverurteilung möglicher Betroffener nicht ersichtlich ist.
Im Berufungsverfahren hat das OVG Schleswig diese Ausführungen bestätigt. Bezüglich der Einflussnahme auf Zivilgerichtsverfahren weist das OVG zudem auf Folgendes hin:
Den Beigeladenen geht es darum, den Zivilgerichten die streitbefangenen Informationen vorzuenthalten und so auf für sie günstige Entscheidungen hinzuwirken. Das Umweltinformationsgesetz dient nicht diesem Interesse. Soweit § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UIG laufende Gerichtsverfahren betrifft, schützt die Norm primär das Verfahren und nur mittelbar auch die Parteien des Verfahrens, nicht aber materielle Positionen der Parteien.
Frontal 21 wird die Unterlagen nun auswerten und in Bälde ausführlich darüber berichten. Möglicherweise beweisen die Unterlagen, dass auch nach Durchführung des Software-Updates noch eine unzulässige Abschalteinrichtung in den betreffenden Fahrzeugen vorhanden ist.
Zudem kann dieses Urteil weitreichende Auswirkungen auf den Abgasskandal auch bei anderen Herstellern haben. So reichte zum Beispiel die Daimler AG bisher umfassend geschwärzte Unterlagen zu ihrer Verteidigung bei Zivilverfahren ein. Der extra zur Aufklärung des Dieselskandals eingerichtete 16a. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat von Daimler bereits verlangt, der sekundären Darlegungslast nachzukommen und sich ausführlich zu den Abschalteinrichtungen und ihrer angeblichen Notwendigkeit zu erklären. Auch die Informationen, die Daimler im Genehmigungsverfahren den Zulassungsbehörden zur Verfügung gestellt hat, muss das Unternehmen aufdecken. Das Urteil des OVG Schleswig wird den Druck auf Daimler, Informationen preiszugeben, nun noch weiter verstärken.