Millionen Autofahrer sind im Dieselskandal auch von deutschen Autoherstellern wie dem VW-Konzern, der Daimler AG und der BMW AG "betrogen" worden und haben bundesweit gerichtlich Schadensersatz für erlittene Wertverluste geltend gemacht. Die meisten Verfahren laufen noch. Auch die eigentliche Sachverhaltsaufklärung ist noch längst nicht abgeschlossen.
So wurden erst im Juli 2021 gegen die deutschen Hersteller VW, Daimler und BMW Bußgelder wegen rechtswidriger Absprachen in dreistelliger Millionenhöhe durch die EU-Kommission verhängt (Verfahren AT.40178). Es geht um eine bereits im Jahr 2009 begonnene Koordinierung der Größen von Harnstoff-Tanks sowie die mit einer Tankfüllung an Harnstoff ("AdBlue") möglichen Reichweiten. Insbesondere sei man sich im Rahmen der konspirativen Treffen und Absprachen im Zeitraum vom Juni 2009 bis Oktober 2014 einig gewesen, lediglich inadäquat kleine AdBlue-Tanks anzubieten und zu verbauen. Diese jahrelangen heimlichen Absprachen und das stille Einvernehmen der Kartellanten zum Nachteil der Kunden stellen mutmaßlich einen wesentlichen Baustein im gesamten Diesel-Abgasskandal dar, sprechen sie doch für eine langjährige und strukturelle Manipulationsbereitschaft der beteiligten Hersteller. Daimler war ebenfalls an dem Kartell beteiligt, profitiert jedoch von einer Kronzeugenregelung.
"Ganz offensichtlich ist dieses Kartell Mitverursacher der jahrelangen rechtswidrigen Grenzwertüberschreitungen von Stickstoffdioxid, insbesondere in Ballungsräumen" sagt Rechtsanwalt Lars Murken-Flato von HAHN Rechtsanwälte. "Die verwerfliche Gesinnung der Kartellanten zeigt sich in dem rücksichtslosen Gewinnstreben unter Inkaufnahme von vermeidbaren Gesundheits- und Umweltschäden. Ohne die Gewissheit, dass die deutschen Konkurrenten ebenso agieren, hätte keiner der Kartellanten auf die technisch optimale Abgasreinigung verzichtet. Das stille Einvernehmen der Kartellanten ist ein Kernstück des Diesel- Abgasskandals", ist sich Rechtsanwalt Murken-Flato sicher.
Die zuständige Kommissarin für Wettbewerb Margrethe Vestager erklärte in ihrer Presseerklärung am 08.07.2021, die fünf Automobilhersteller Daimler, BMW, Volkswagen, Audi und Porsche hätten das "gemeinsame Verständnis" geteilt , dass der AdBlue-Verbrauch und damit die Wirksamkeit der Abgasreinigung "begrenzt" werden solle. Eine wesentliche und beabsichtigte Folge der Kartellabsprachen war offensichtlich, dass die Kartellanten ohne technische Rücksichtnahme auf die Konkurrenz hinsichtlich der Bedatung (Software) ihrer Dieselmotoren ihr eigenes Süppchen kochen konnten. Allein über die Steuerungssoftware konnte so der Harnstoffverbrauch im Realbetrieb minimiert werden um den technisch anspruchsvollen Verbau von deutlich größeren AdBlue-Tanks auf engem Raum zu vermeiden.
Die dahinter stehende, mutmaßlich verwerfliche Gesinnung der Kartellanten spielt auch für die Frage einer zivilrechtlichen Haftung gegenüber ihren Kunden wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung eine maßgebliche Rolle. Daher hatte die Kanzlei HAHN die EU-Kommission bereits im Jahr 2019 zur Herausgabe der wesentlichen Unterlagen des Kartells aufgefordert. Zunächst verwies die Kommission noch auf die laufenden Ermittlungen. Mit ihrem Zweitantrag legte die Kanzlei HAHN nach Beendigung des Bußgeldverfahrens erneut dar, weswegen dem Antrag auf Akteneinsicht stattzugeben ist. Nachdem die Europäische Kommission den Zugang zu den Akten des Verfahrens unter Zugrundelegung der Vertraulichkeitsvermutung und wegen angeblich sensibler Informationen verweigerte, beauftragte die Kanzlei Hahn nun eine spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei aus Frankfurt mit der Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV und dem damit verbundenen Ziel der Durchsetzung des Auskunfts- und Herausgabebegehrens.
"Wir vertreten zahlreiche Verbraucher in Schadensersatzverfahren vor deutschen Zivilgerichten im Zusammenhang mit dem sogenannten Diesel- oder Abgasskandal" sagt Rechtsanwalt Murken-Flato und führt weiter aus, "eine ehrliche Sachverhaltsaufklärung durch die Kartellanten selbst ist nicht zu erwarten. Vielmehr ist unsere Erfahrung leider, dass die Kartellabsprachen und die damit verbundenen Folgen auf die Volksgesundheit und die Umwelt bagatellisiert werden". Insofern hält er die gerichtliche Befassung des Gerichtshofs der Europäischen Union nunmehr für unausweichlich: "Die weitere Sachverhaltsaufklärung ist an dieser Stelle dringend erforderlich. Wegen des im Zivilprozess geltenden Darlegungsgrundsatzes besteht andernfalls die Gefahr, dass ein nicht ausermittelter Sachverhalt als haftungsrechtlicher "Status quo" zementiert wird, obgleich die strafrechtliche und verwaltungsrechtliche Aufarbeitung noch anhält" erläutert abschließend Murken-Flato.