Bislang finden sich unter den Klägern, die Schadensersatzansprüche gegenüber der VW AG geltend machen, überraschenderweise nur wenige Unternehmen. Dies könnte sich kurz vor „Toresschluss“ – also vor dem Eintritt der Verjährung am 01.01.2019 – noch ändern. Dies aus verständlichen Gründen: Laut Bundesverband Fuhrparkmanagement liegt der Anteil der Diesel-Pkw in den deutschen Firmenfuhrparks bei stolzen 85 %.
Die neu eingeführte Möglichkeit der Musterfeststellungsklage für Verbraucher veranlasst zunehmend Großkunden von VW, unter Hochdruck noch Schadensersatzansprüche aus dem Diesel-Abgasskandal zu prüfen. Im Rahmen des neu eingeführten Musterfeststellungsverfahrens nach § 606 ZPO sind zunächst nur Verbraucher anmeldeberechtigt, nicht aber andere Personen wie etwa Unternehmer. Dies, obwohl auch sie in gleicher Weise von dem beanstandeten Verhalten des beklagten Unternehmers – hier der „Schummelsoftware“ der VW AG – betroffen sind. Durch eine Gesetzesänderung haben Unternehmen jedoch jetzt (nach § 148 Abs. 2 ZPO, in Kraft getreten am 01.11.2018) die Möglichkeit, in einem laufenden Rechtsstreit mit VW die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Musterfeststellungsverfahrens zu beantragen. Die Entscheidung in dem ausgesetzten Verfahren muss dabei vom Bestehen eines Rechtsverhältnisses abhängen, dessen Feststellung Gegenstand des anderen Prozesses ist. Die Bestimmung dient insofern der Prozessökonomie, indem sie die Gerichte vor der doppelten Befassung mit zumindest teilweise identischem Streitstoff bewahren soll.
Ausgerechnet die von Verbraucherschützern nunmehr beim OLG Braunschweig eingereichte Musterklage lässt also auch die Rechtsabteilungen von Großkunden aufhorchen. So prüfen nach aktuellen Recherchen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zahlreiche Einkaufsabteilungen von Unternehmen sowie Fuhrparkmanager bundesweit nunmehr (erst), ob Schadensersatzansprüche gegen VW und dessen Leasingtochtergesellschaft bestehen und noch fristgerecht geltend gemacht werden könnten (vgl. „Unterschätztes Risiko Fahrzeugflotte“, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 13.11.2018, S. 21). Dabei können Ansprüche sowohl für Fahrzeuge der aktuellen Flotte, aber auch für Fahrzeuge geltend gemacht werden, die bereits z.B. im Rahmen eines Leasingvertrags nach Vertragsende zurückgegeben wurden.
„Sofern Unternehmen zu der Entscheidung gelangen, von VW Schadensersatz für seit Ende 2008 gekaufte oder geleaste Diesel-Pkw zu verlangen, besteht grundsätzlich die Möglichkeit nach Klageerhebung das Verfahren auszusetzen“ kommentiert der Bremer Fachanwalt Murken-Flato von HAHN Rechtsanwälte. „Dies hat den klaren Vorteil, dass die andernfalls drohende Verjährung gehemmt wird und das Unternehmen nicht auf eigene Faust den Instanzenzug beschreiten muss“, so Murken-Flato weiter. Zwar steht die Entscheidung der Aussetzung im Ermessen des Gerichts. Sollte das Gericht dem Antrag jedoch sachgerechter Weise nachkommen, vermeidet das Unternehmen so das Risiko weitere Prozesskosten und kommt in den Genuss einer höchstrichterlichen Entscheidung.
„Wenn der BGH schlussendlich die Schadensersatzpflicht von VW feststellt, kann eine unterlassene Prüfung und Geltendmachung von Ansprüchen für Führungskräfte sogar ein echtes Haftungsrisiko werden“ prognostiziert der Bremer Fachanwalt Murken-Flato weiter.
Da die Schadensersatzansprüche gegenüber VW zum Ende des Jahres 2018 verjähren, kann die Empfehlung an Unternehmen bzw. Flotteninhaber von Diesel-Pkw der Marke VW nur lauten, Ansprüche kurzfristig zu prüfen bzw. prüfen zu lassen und gegebenenfalls verjährungshemmende Maßnahmen zu ergreifen.