Das BGH Urteil vom 30.07.2020 zum Kauf nach 2015
Am 30.07.2020 sprach der BGH ein weiteres Urteil im Abgasskandal. Hatte er bereits am 25.05.2020 klargestellt, dass Haltern beim Kauf eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs Schadensersatz zusteht, wurden in diesem und weiteren Verfahren konkrete Fälle und rechtliche Fragen geklärt. Im Verfahren, das am 30.07.2020 mit dem Urteil endete (AZ. VI ZR 5/20) ging es darum, ob Kläger auch dann einen Anspruch auf Schadensersatz haben, wenn sie ihr Fahrzeug nach Veröffentlichung der Ad-hoc-Meldung durch den VW Konzern am 22.09.2015 erworben hatten. Dies verneinte der BGH.
Der Kläger hatte im August 2016 von einem Autohändler einen gebrauchten VW Touran erworben. Dass in dem Fahrzeug mit Motor EA189 und der Abgasnorm Euro 5 eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden ist, ist unstreitig. Doch sowohl die ersten Instanzen (Landgericht Trier und Oberlandesgericht Koblenz), als nun auch die oberste Instanz vertreten die Meinung, dass der Kläger zum Kaufzeitpunkt von der Betroffenheit seines Fahrzeugs im Abgasskandal gewusst haben muss.
Anders gesagt: Durch die Änderung seines Verhaltes hat VW nach Bekanntwerden der Ad-hoc-Meldung nicht mehr sittenwidrig gehandelt und haftet dementsprechend auch nicht mehr auf Schadensersatz. Potentielle Kunden waren nicht mehr arglos, sondern es musste damit gerechnet werden, dass diese ihr Vertrauen in eine vorschriftgemäße Abgastechnik bereits verloren hatten. Sie wurden deshalb im Gegensatz zu den Käufern, die ihr Fahrzeug vor dem 22. September 2015 erworben hatten, nicht mehr sittenwidrig geschädigt.
Das Gericht schreibt in seiner Urteilsbegründung dazu.
„Dass die Beklagte die Abschalteinrichtung nicht selbst als illegal gebrandmarkt hat, sondern im Gegenteil dieser (zutreffenden) Bewertung in der Folgezeit entgegen getreten ist, dass sie eine bewusste Manipulation geleugnet hat und dass sie möglicherweise weitere Schritte zur umfassenden Aufklärung hätte unternehmen können, reicht für die Begründung des gravierenden Vorwurfs der sittenwidrigen Schädigung gegenüber dem Kläger nicht aus.“
Die Musterfeststellungsklage gegen VW – Viele Kläger gingen leer aus
Gehören Sie zu den Teilnehmern der Musterfeststellungsklage, die kein Vergleichsangebot von VW erhalten haben? Dies betrifft tausende Dieselfahrer, die ihr Fahrzeug nach 2015 gekauft hatten oder beim Kauf des Autos nicht in Deutschland lebten. VW ist der Meinung, dass spätestens zu Ende 2015 allgemein bekannt war, welche Fahrzeuge über unzulässige Abschalteinrichtungen verfügten. Bei einem Kauf nach 2015 besteht deshalb kein Anspruch auf Schadensersatz. Sie wussten ja bereits, dass sie ein betroffenes Auto kaufen und wurden dementsprechend nicht getäuscht und sittenwidrig geschädigt.
Auch Klägern, die ihren Wohnsitz zum Zeitpunkt des Kaufes nicht in Deutschland hatten, hat VW kein Angebot gemacht. Dies traf besonders viele Kunden aus Österreich, aber auch aus anderen EU-Ländern.
Der Europäische Gerichtshof machte mit Urteil vom 09.07.2020 klar, dass Autokäufer, die ihren VW (Audi, Seat, Skoda) im Ausland erworben haben, auch dort auf Schadensersatz klagen können (AZ: C-343/19). Der Schaden sei erst zum Zeitpunkt des Kaufes eingetreten. Verhandlungsort sei deshalb der Ort des Kaufes. Alternativ können diese Kunden den Hersteller jedoch auch am Gerichtsort dessen Firmensitzes (im Falle von VW also zum Beispiel das Landgericht Braunschweig) verklagen.
VW Diesel nach 2015 gekauft und Auto finanziert?
Für alle, die ihren VW Diesel nach 2015 gekauft haben und sich nun fragen, ob sie im Abgasskandal leer ausgehen müssen, haben wir gute Nachrichten. Abgesehen davon, dass wir die Rechtsprechung des BGH nicht nachvollziehen können. Unserer Auffassung nach wussten Kunden frühestens dann über die Betroffenheit ihres Fahrzeugs Bescheid, als sie ein entsprechendes Schreiben von VW bekommen haben. Gerade bei Fahrern von Dieseln von Audi, Seat und Skoda war zunächst auch der VW-Abgasskandal Berichterstattung aus den Medien nicht ausreichend klar zu entnehmen, dass auch viele dieser Modelle den Motor EA189 nutzen und über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügen.
In Anbetracht des BGH Urteils müssen sich Fahrer, die ihren VW Diesel nach 2015 gekauft haben jedoch alternative Wege suchen, um im VW Abgasskandal nicht leer auszugehen. Einer davon ist der Einsatz des Widerrufsjokers. Diesen können nahezu alle Verbraucher einsetzen, die ihren Wagen finanziert haben. Voraussetzung ist zum einen, dass der Autoverkäufer die Finanzierung vermittelt hat und zum zweiten, dass der Autokreditvertrag fehlerhaft ist. Letzteres trifft auf gut 90% aller Autokreditverträge zu, wie wir aus eigener Erfahrung nach tausenden geprüften Verträgen wissen. Verbraucher werden sehr oft nicht ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht belehrt. Dies führt dazu, dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt und ein Widerruf auch später noch möglich ist. Dies bestätigte erst am 26.03.2020 der Europäische Gerichtshof mit einem Urteil (AZ: C-66/19). Nahezu alle Autokreditverträge, die zwischen dem 11.06.2010 und dem 26.03.2020 abgeschlossen wurden, können demnach noch immer rückabgewickelt werden.
Ergebnis einer solchen Rückabwicklung nach Einsatz des Widerrufsjokers ist, dass das Auto an die Bank zurückgegeben werden kann und alle bereits geleisteten Raten (Tilgung und Zinsen) samt Anzahlung erstattet werden. Wenn Sie zu den vielen tausend Betroffenen im Abgasskandal gehören, die ihr Auto „zu spät“, nämlich erst nach 2015 erworben haben, dann ist der Einsatz des Widerrufsjokers eine Möglichkeit, sich von einem Auto zu lösen, das einen hohen Wertverlust erlitten hat und das zu für Sie guten Konditionen.
Thermofenster bei Software-Update aufgespielt – Schadensersatz möglich
Eine weitere Möglichkeit, im VW Abgasskandal bei einem Kauf nach 2015 nicht leer auszugehen, besteht in der Geltendmachung von Schadensersatz – und zwar nicht aufgrund der vom BGH bereits anerkannten unzulässigen Abschalteinrichtung, sondern aufgrund des von VW im Rahmen des Software-Updates nachträglich installierten Thermofensters. Da dessen Verwendung erst viel später bekannt wurde, besteht hier weiterhin ein Anspruch.
Das Thermofenster wurde bereits von zahlreichen Gerichten als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft aufgrund deren Verwendung ein Anspruch auf Schadensersatz besteht. Allerdings bezogen sich diese Verfahren zunächst nicht auf Diesel mit dem Motor EA189, sondern auf Diesel von Mercedes oder BMW.
Bis zum Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 31.07.2019 (AZ: 7 O 166/18). Dieses urteilte, dass der streitgegenständliche VW Tiguan mit dem Motor EA189 auch nach Aufspielen des Software-Updates noch mangelhaft sei. Dem Kläger stehe deshalb Schadensersatz zu – obwohl er den gebrauchten Diesel erst im Februar 2016 erworben hatte. Durch das Software-Update war die ursprünglich beanstandete unzulässige Abschalteinrichtung zwar entfernt worden. Ein Thermofenster war jedoch stattdessen installiert worden – und laut LG Düsseldorf handelt es sich auch dabei um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Halter, die ihren VW (oder einen anderen Diesel mit EA189 Motor) erst nach 2015 gekauft haben und im Laufe der Zeit ein Software-Update haben aufspielen lassen, können also Anspruch auf Schadensersatz haben. Da ihr Fahrzeug ab dem Aufspielen des Software-Updates eine neue unzulässige Abschalteinrichtung enthielt. 2020 gab es zudem einen ersten verpflichtenden Rückruf aufgrund des Updates - für den VW EOS. Auf Nachfrage erklärte das KBA, dass dabei nicht das Thermofenster ursächlich war, sondern eine andere unzulässige Abschalteinrichtung. Denn anhand der Fahrkurven erkannten die Fahrzeuge, wenn sie sich auf dem Prüfstand befanden und schalteten dann in einen saubereren Modus. Dass diese neue unzulässige Abschalteinrichtung auch bei den anderen Modellen im Zuge des Updates installiert wurde, liegt nahe. Somit ergibt sich aufgrund dieser neuerlichen Manipulation eine ganz neue Grundlage für einen Schadensersatzanspruch.
HAHN Rechtsanwälte ist seit 2001 ausschließlich für Verbraucher tätig und gehört zu den erfolgreichsten Kanzleien im Abgasskandal gegen VW, Audi, Porsche und Mercedes.
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